Weltraumspiele
  Text / Bilder: Jörg Bohn, VG Wort / Wissenschaft -  Erstveröffentlichung im Sammlermagazin "Trödler", Heft 5/2007
 
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      | "Weltraum-Station Nr.1", Abel-Klinger, 50er Jahre  |     
  
     
Seit jeher beflügelte der Gedanke an einen Flug in den Weltraum die Phantasie der Menschen.
Ich  setzte mich auf dem Mond nieder „und ließ meine Beine in der Luft  baumeln. Traurig sah ich hinab auf die Erde, die friedlich und leuchtend  in der Atmosphäre schwebte und fragte mich, ob ich sie wohl je wieder  betreten würde“, fabuliert Freiherr von Münchhausen, der nach eigenen  Angaben auf einer schnellwüchsigen Bohnenranke „zu diesem ausgestorbenen  Trabanten“ empor geklettert war und sich „als dessen einziger Bewohner“  dann offensichtlich doch etwas einsam fühlt.
          Nicht  weniger phantastisch liest sich die Mondfahrt von Anneliese und  Peterchen, die den beiden Kindern dank Maikäfer Sumsemanns  Flugunterricht gelingt und die sie eine Reihe von erstaunlichen  Begegnungen mit Sandmännchen, Nachtfee und Mondmann erleben lässt.  Wesentlich konkretere Vorstellungen von einem Flug in das Weltall  hingegen hatte bereits 1865 der französische Schriftsteller Jules Verne.  In seinem Zukunftsroman „Von der Erde zum Mond“ wird eine Mondrakete  mit Hilfe einer 300 Meter langen Kanone durch die treibende Kraft von  400000 Pfund explodierender Schießbaumwolle Richtung Mond geschossen und  ist auf dem Weg dorthin allerlei aufsehenerregenden Abenteuern  ausgesetzt. Basieren viele Details in diesem Buch auf dem damaligen  Stand der Wissenschaft und wirken daher heutzutage entsprechend  veraltet, wurden nichtsdestotrotz einige von Vernes Visionen über 100  Jahre später Wirklichkeit. So startete seine fiktive Raumkapsel ebenso  wie die erste reale amerikanische Mondlandemission mit einer  dreiköpfigen Besatzung an Bord in Florida und wurde nach ihrer Rückkehr  zur Erde gleichfalls von der Besatzung eines Schiffes wieder aus dem  Meer herausgefischt.
  Auch in den ersten  Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verleiten die rasanten technischen  Fortschritte in der Entwicklung der Fortbewegungsmittel zu Lande, zu  Wasser und insbesondere in der Luft die Menschen zu Gedankenspielen über  die Möglichkeiten des Machbaren, so beispielsweise in Form des  Gesellschaftsspieles „Das Raketenflugzeug“ vom Spieleverlag Klee.
    „Mit  großem Interesse lesen wir immer die Berichte über die abenteuerlichen  Reisen der verschiedensten Flugzeuge über den Ozean und durch die Welt“,  leitet dessen Spielanleitung ein und weiter heißt es: „mit ebensolcher  Spannung verfolgen wir die kühnen Fahrten der Luftschiffe, die den  heftigsten Stürmen erfolgreichen Widerstand leisten. Nach der Erfindung  des Raketenautos spricht man bereits von einem Raketenflugzeug. Wir  eilen der Zeit etwas voraus und wollen mit einem solchen den Weltraum in  unserem Spiele durchfliegen.“ Der vergnügliche Untertitel des Spieles,  „Eine lustige Reise“, lässt sich bei weiterer Lektüre der Regeln  allerdings nicht so ohne weiteres nachvollziehen, landet die Maschine  doch nach dem „Abflug von der Erde“ als Erstes auf einem „Eisplaneten,  wobei das Flugzeug einfriert“ und es „trotz Unterstützung der Bewohner  sehr lange dauert, bis das Flugzeug wieder flugbereit ist“ (was  Würfelspieltypisch zur Folge hat, dass der Spieler einige Felder zurück  muss). Weiter geht „die Fahrt nun zu einem anderen riesigen Stern, wo im  Gegensatz zum vorhergehenden Planeten mit den gewaltigen Eismassen  alles in voller Vegetation steht“ und „in der Fortsetzung der weiteren  Durchquerung des Weltalls kommt das Flugzeug in die Nähe eines Planeten  mit ewigem Feuer“. Ein wenig entspannen können die Spieler erst „auf  einem Planeten, der von Liliputanern dicht bevölkert ist“, denn dort  werden sie „herzlich empfangen“.
  Auch die Spielregel eines weiteren Klee-Spieles  mit dem Titel „Die Reise zum Mond“
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      | "Die Reise zum Mond", Klee |     
  
    nimmt einleitend Bezug auf den  damals aktuellen Stand der Technik: „Welche Bewunderung in allen Ländern  der Welt erregte die herrliche Fahrt des Zeppelin-Luftschiffes quer  über den Ozean nach Amerika; vor ganz kurzer Zeit hätte man dies für  ganz unmöglich gehalten. Nun wollen wir aber heute sogar in einem  besonders dafür gebauten Luftfahrzeug eine Reise nach dem Monde  unternehmen. Nach sorgfältiger Vorbereitung, welche die Durchquerung des  Weltenraumes benötigt, landen wir glücklich auf dem Monde.“
  Im  Vergleich zu den ausschweifenden Phantasien heutiger Autoren muten die  zu bewältigenden „Abenteuer“ dieser Gesellschaftsspiele geradezu rührend  hausbacken an:
  „Bei der Reise durch den Mond  kommen sie auf eine Insel, auf der riesige Bäume wachsen und  Riesentiere, ähnlich dem Drachen aus der Niebelungensage, in Höhlen  hausen.“ Auch das nächste Ereignisfeld orientiert sich eher an  irdisch-bodenständigen Gegebenheiten als an außerirdischen Utopien: „Bei  weiterem Vordringen treffen sie auf einen Mondbewohner, der drei Meter  groß ist und auf einem Riesenheupferd, doppelt so groß wie unsere  Pferde, so schnell reitet, dass es dem Spieler gerade noch gelingt, sich  rechtzeitig zu verstecken“. Das Spiel „Die Reise zum Mond“ gehörte zu  einer Reihe recht einfacher Würfelspiele aus der Klee-Produktpalette, die beim Kauf von 2 Pfund Volksschatz-Margarine des Margarinewerk Eidelstedt als  Werbebeigabe verteilt wurden. Zur weiteren Auswahl standen  beispielsweise beim Kauf von 6 Pfund Streichfett dieser Firma „1  Gummiball (mittel) bunt bemalt“ und bei der Abnahme von 30 Pfund hatte  der zeitgenössische Konsument gar die Qual der Wahl zwischen 40 Meter  Wäscheleine, „1 große Puppe im Carton“ und „1 halbseidener Schlüpfer“.
 
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      "Bimbo's Mondfahrt", Cary Spiele
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      Beziehen  diese frühen Spiele der 1920er Jahre ihren Charme vor allem aus einer  liebenswürdig naiven und ins phantastische abgleitenden Sicht der Dinge,  werden ihre Nachfolger mit fortschreitender Weiterentwicklung der  Raumfahrttechnologie zunehmend wirklichkeitsbezogener. Der mögliche  Nutzwert der neuen Technologie rückt immer stärker in den Vordergrund  und entsprechend pragmatisch formuliert die Anleitung eines STOMO-Spieles die zugrunde liegende Spielidee:
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      "RAMO - Raketenflug zum Mond", Stomo
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    „Das Gesellschaftsspiel RAMO  (RAketenflug zum MOnd) ist eine Entdeckungsfahrt. Heute ist es noch  vollkommen unbekannt, ob und welche Erzvorkommen auf dem Monde zu finden  sind. Hier in diesem Spiel wird das Vorhandensein solcher Vorkommen  angenommen und es ist Aufgabe der Raketenflieger diese Fundorte zu  besetzen.“ Auch in der Realität hat die Raumfahrt von ihrer  Abenteuerromantik eingebüßt. War ihre Grundlagenforschung noch  enthusiastischen Pionieren mit überwiegend hehren Zielen zu verdanken,  wird die Weiterentwicklung durch eine mögliche Nutzbarkeit für  militärische Zwecke bestimmt. Einen technischen Höhe- und zugleich  moralischen Tiefpunkt dokumentieren in diesem Zusammenhang die in den  letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges in Deutschland gebauten V2  Raketen. Doch nach den Schrecken des Krieges und dem Schock der  Korea-Krise zu Beginn der 50er Jahre macht sich trotz angespannter  Weltpolitischer Lage und Kaltem Krieg allmählich wieder Zuversicht breit  und in vielen Ländern ist, insbesondere auch durch die Hoffnung auf  eine friedliche Nutzung der Atomenergie, eine regelrechte  Fortschrittseuphorie zu spüren. Turbinenautos, eine Schwebebahn durch  die Sahara, ein 200 Meter langes Atomflugzeug und eine „Riesenernte im  Atomgarten“ sieht  beispielsweise das in den 50er  Jahren erschienene Birkel-Sammelbilderalbum „Die Welt von Morgen“ ebenso  voraus wie „Das Gehirn im Metallkopf“ in Gestalt eines Schach  spielenden Roboters.
„Die Baupläne für unter hohen Glashauben befindliche  Wolkenkratzer-Städte auf dem Mond liegen in den Panzerschränken der  Weltraumforscher“, wird in dem Kapitel „Die Eroberung des Weltraumes“  vermutet und auch zum Jupiter fliegende Atomraketen sollen schon in  nicht allzu ferner Zukunft keine bloßen Wunschträume mehr sein. „Das  Jahr 2000“ taucht nun in diesem Zusammenhang immer häufiger als  zeitlicher Fixpunkt auf, so auch im Titel des Würfelspiels „Im Jahre  2000“.
           
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      | "Im Jahre 2000", ca. 1950 |     
  
                   
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      | "Im Jahre 2000", ca. 1950 |     
  
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    „Nach den letzten Erkenntnissen und Berechnungen der Wissenschaft  wird es uns spätestens in etwa 50 Jahren möglich sein, Weltraumfahrten  auf den Mond, auf den Mars und andere Planeten oder noch viel weiter  entfernte Sterne zu unternehmen. Diesen Plänen wollen wir mit unserem  Spiel vorgreifen und von der Erde aus mit unseren Raketen einen Ausflug  in den Weltenraum machen.“  Ein ähnliches Ziel  verfolgt „Weltraum-Station Nr.1“: „Die jüngsten Erfolge auf dem Gebiet  der Raumfahrt haben das allgemeine Interesse wachgerufen, so dass heute  jedermann mit Spannung verfolgt, wem und auf welche Weise es gelingt, in  das Weltall zu gelangen“. Das Abel-Klinger-Spiel besticht neben  ausnehmend schönen Illustrationen auch mit einer originellen Spielidee:  zwei auf einer Mittelachse zentrierte und jeweils mit ausgestanzten  Feldern versehene Spielflächen werden drehend gegeneinander verschoben.  Geraten nun zwei Ausstanzungen übereinander, ist der Spieler „in ein  Luftloch geraten und dadurch soweit abgesunken, dass er seinen Flug  nicht fortsetzen kann, sondern auf die Erdkugel zum neuerlichen Start  zurück muss.“ 
Das ausstattungsmäßige Gegenteil verkörpert hingegen ein Weltraumspiel in der Weihnachtsbeilage der Westdeutsche Allgemeine aus  dem Jahr 1955.
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      | Aus einer Wochenendbeilage der "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ), 50er Jahre |     
  
    Dessen Spielplan ist auf herkömmliches Zeitungspapier  gedruckt und die Spielfiguren in Form von sechs Weltraumschiffen müssen  erst einmal „aus Holz oder Pappe selbst hergestellt werden.“ Gerade  deshalb spiegelt „Zisch Bumm – Ein Spiel für junge Leseratten“ auf  anheimelnde Art und Weise den Zeitgeist der 50er wider und weiß darüber  hinaus durch originelle Einfälle zu gefallen. So werden im von einem  Zeichner namens Vossnacke entworfenen Universum nicht nur „Fliegende  Untertassen“ gesichtet, sondern auch „Fliegende Zigarren“ und eine  Zeitungsfrau bietet gar die Welt-All-Zeitung (WAZ) feil.
    Zudem fährt  „jeder Raumfahrer einmal auf dem Saturn-Karussell. Freut sich darüber  so, dass er anfängt zu singen: Spieler muss aufstehen und ein Lied  singen.“
Im Gegensatz dazu geht es beim „Flug zu den Planeten“, einem „aktuellen und lehrreichen Unterhaltungsspiel“ von Astro-Spiele,  wissenschaftlich trocken zu.
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      | "Flug zu den Planeten", Astro Spiele, 50er Jahre |     
  
    Auf dem recht schmucklosem Spielbrett  werden die Planeten unseres Sonnensystems angewürfelt, im Begleittext  erfährt man allerlei wissenswertes über Jupiter, Saturn, Neptun und Co.  Durchaus sammelnswert macht dieses Spiel jedoch der ansprechende Karton,  auf dessen Deckelbild eine schnittige Phantasierakete durch das Weltall  schießt. Ähnlich sehenswert illustriert ist das wohl zeitlich ebenfalls  Mitte der Fünfziger einzuordnende Spiel „Weltraumfahrt“ von Schmidt.
     
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      | "Weltraumfahrt", Schmidt, ca.1955 |     
  
            Dessen Spielplan lässt die Grenzen der Phantasie des ausführenden  Zeichners erkennen und wird wohl so manchem heutigen Betrachter  unwillkürlich ein Schmunzeln entlocken: eine futuristische  Mehrstufenrakete lässt er von einer Mannschaft aus „echten Kerlen“  manövrieren, die man aufgrund ihrer äußeren Erscheinung wohl eher in  einem damaligen U-Boot oder gar in einem Bergwerksstollen vermutet  hätte. Auch einige Ereignisfelder des Würfelparcours offenbaren dem  entsprechend  kernig-männliche Spielanweisungen:  „Im Weltall lauert nur eine Gefahr: die kosmische Materie, die durchs  Weltall rasenden Meteore. Nur ein faustgroßes Stück hat unsere Rakete  getroffen, unser Raumschiff hat keinen Meteordämpfer, keine 2. Wand, die  Luft entweicht. Ohnmacht und Ersticken sind die Folgen. Spieler  scheidet aus.“
  Um ein „ungefährliches“ Geschicklichkeitsspiel handelt es sich dagegen bei „Start ins Welt-All“ von Sala- Rotsiegel.  Kleine Pappraketen werden mit Hilfe eines Gummirings auf der Rückseite  des dreidimensionalen Spielaufbaus eingeklinkt, auf Spannung gebracht  und durch einen kleinen hakenförmigen Metallstift in diesem Zustand  fixiert. Trifft der Spieler nun mit einer Kugel den Fuß einer Rakete,  löst sich dadurch der Haken, wodurch das Flugobjekt in die Luft schnellt  und seinem Namen alle Ehre macht.
 
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      |   |     |   "Start ins Welt-All", Sala, ca. 1965 |     
  
     Doch noch einmal zurück zum Spiel „Im Jahre 2000“: dass Raumflüge  bereits viel früher zur Realität wurden, als in der Spielanleitung  dieses zu Beginn der 50er Jahre erschienenen Spieles vermutet, belegte  einige Jahre später eine alternative Version, die mit gleichem Inhalt  und Deckelbild, jedoch mit verändertem Titel in den Spielwarenläden zu  finden war.
    Aus „Im Jahre 2000“ wurde „Sputnik“ und dokumentierte somit  ein Ereignis, das 1957 die ganze Welt in Atem hielt: am 4. Oktober  dieses Jahres gelang es der Sowjetunion mit dem Satelliten Sputnik 1  erstmals, einen künstlichen Trabanten in eine Umlaufbahn um die Erde zu  schicken
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      | 1957 elektrisierte der Satellit Sputnik, der erste "künstliche  Erdtrabant" die gesamte Welt. Das wunderschön illustrierte DDR-Spiel  "Mit den Sputniks rund um den Erdball" aus dem Jahr 1958 lässt es  sich natürlich nicht nehmen, den damaligen Vorsprung russischer  Weltraumtechnik - und damit natürlich auch automatisch die vermeintliche  Überlegenheit des gesamten politischen Systems - zu preisen: "Überall  waren die Menschen den Sputniks auf der Spur; die großen  Himmelsfernrohre verfolgten sie auf ihren Bahnen um den Erdball. In der  Morgen- und Abenddämmerung sahen die Menschen in Leningrad und Berlin,  in Paris und Kapstadt und überall auf unserer Erde mit bloßen Augen die  Sputniks." Auf den mit Drehscheiben hinterlegten Bildschirmen des  Spielbretts werden im Spielverlauf verschiedene Städte sichbar, von  denen aus der Sputnik beobachtet werden konnte. Hersteller: VEB (K)  Kartonagen und Bürobedarf Karl-Marx-Stadt, Maße der Schachtel 27 x 38cm |     
  
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    und nur knapp einen Monat später hatte Sputnik 2 mit der Hündin  Laika sogar ein Lebewesen an Bord. Ihren vorläufigen Höhepunkt erfuhr  die sowjetische Raumfahrttechnik dann schließlich im Jahr 1961, als mit  Juri Gagarin und wenig später mit German Titow die ersten Menschen in  den Weltraum vordrangen. Im Gegensatz zu Gagarin jedoch ist Titow heute  weitestgehend unbekannt und bildet dadurch ein Paradebeispiel für die  undankbare Rolle „des Zweiten“. Immerhin erlangte er jedoch den  zweifelhaften Ruhm, als erster Mensch an der Raumkrankheit, einer durch  die Schwerelosigkeit bedingten Gleichgewichtsstörung, zu leiden…
          
  
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      | "Die Ersten im Kosmos", Lehrmittel Pößneck, 1973 |     
  
    
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